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Die getarnten Seelenfänger

Bei einem Spaziergang durch den sechsten Wiener Bezirk, der einen zuerst am lokalen Königreichsaal der Zeugen Jehovas und keine 300 Meter weiter an der österreichischen Zentrale der Scientology Church vorbeiführt, fallen dem aufmerksamen Beobachter einige Details auf; unter anderem die Dichte der Sektenquartiere, oder die Zahl der Sektenanwerber, die hier vor allem auf der Mariahilfer Hauptstraße ihre Rekrutierungsversuche betreiben. Aber auch die unzähligen „Gratis-Meditationskurs“- Plakate, die alle zwei Meter die Wand säumen, stechen einem ins Auge.

Fast jeder kennt die etwas versteift wirkenden Menschen, die in Fußgängerzonen stehen und Bibeln oder Flyer verteilen. Vor allem die Zeugen Jehovas erkennt man schnell: Sie stehen meistens mit einem Werbeaufsteller herum und bieten sehr unaufdringlich und unverbindlich Broschüren zum Lesen an. Manchmal hausieren sie aber auch und versuchen außerdem, Bekannte durch Werbevideos, die sie in Familien- oder Freundesgruppen auf WhatsApp schicken, neue Mitglieder für die Sekte zu generieren.

Undurchsichtiger wird es bei den immer öfter zu sehenden Bibelständen, Menschen, die an öffentlichen Plätzen an aufgebauten Tischen verschiedene Bücher verschenken und verkaufen. Es geht nicht immer nur um religiöse Themen, oft auch um Selbstfindung oder finanziellen Erfolg. Autor dieser scheinbar „aufklärenden“ Bücher ist nahezu immer L. Ron Hubbard, der Gründer von Scientology. Auffallend nur, dass das nirgends auf den Büchern steht, geschweige denn dass in diesen Büchern auch nur einmal der Name „Scientology“ fällt. Auch in Bayrischen Schulen hat es die Sekte einmal geschafft unentdeckt Broschüren zu verteilen, in denen es vordergründig um Drogenmissbrauch und andere Themen ging- eine Warnung des bayrischen Kultusministeriums ging erst einige Wochen später raus.

Und – wer hätte es gedacht – auch die „Gratis- Meditationskurs“- Plakate sind keine nett gemeinten Initiativen, um Menschen das Meditieren zu lehren. Dahinter stecken die Anhänger der Sekte „SriChinmoy“, eine Glaubensgemeinschaft, die ihren selbsternannten Guru Sri Chinmoy wie einen Gott verehrt. Bei einem Besuch dieser Meditations- sessions geht alles sehr entspannt los: Man spricht über Gott und die Welt und fängt danach allmählich mit der Meditation an. Im weiteren Verlauf der Sitzung wird das wahre Motiv des Treffens dann immer greifbarer, denn nach circa einer Stunde wird man dazu aufgerufen sich geistig mit dem sehr großen Bild des „Meisters“, das an der Wand hängt, zu verbinden. Man soll Energien mit ihm austauschen und ihn quasi „anmeditieren“. Spätestens dann wird den Meisten klar, was für Intentionen die eigentlich nett wirkenden Menschen mit den Meditationseinladungen verfolgen, denn wenn etwas gratis angeboten wird, ist man meistens eben selbst das Produkt.

Auch freichristliche Missionare versuchen neue Mitglieder zu rekrutieren. Oft sprechen sie Studenten vor Universitäten an, allgemein sind eher jüngere Menschen ihre Zielgruppe. Sie verwickeln die Passanten oft in verwirrende Gespräche über den Lebenssinn und die schlimmen Kriegssituationen, die zurzeit herrschen. Konfrontiert man sie jedoch mit Fragen zur Homo- Ehe oder wieso Gott diese Kriegssituationen überhaupt zulässt, sind sie schnell sehr aufgebracht und versuchen, das Thema zu wechseln. Geschenkt bekommt man dann einen Rosenkranz und die Einladung zu einem angeblichen „Bibelkreis- Treffen“. Bei genauerer Nachforschung stößt man auf das „Evangeliumszentrum“, einer Art Freikriche, die sich selbst jedoch nicht als so eine bezeichnet. Laut ihrer eigenen Website sind sie auch keine Sekte, trotzdem tauchen immer wieder skurrile Geschichten über die Gemeinschaft auf.

So berichten vor allem ehemalige Mitglieder der Gemeinde von sektenartigen Zuständen, wie man sie auch aus anderen Gruppierungen kennt, zu nennen sind mittelalterliche Züchtigungsmethoden in der Erziehung, die völlige Hingabe der Person an die Gruppe, oder die öffentliche Brandmarkung von Austrittswilligen. Auch der Fall einer kranken 13- jährigen, deren Eltern die dringend benötigte medizinische Behandlung aufgrund der Werte der Glaubensgemeinschaft ablehnten und daraufhin der vermeidbare Tod ihrer Tochter eintrat, ging 2019 durch die Medien. Krankheiten werden in solchen evangelikalen Gemeinden oft als „gottgewollt“ angesehen, die Behandlung lehne man deshalb oft kategorisch ab.

Doch was tut Österreich gegen diese vielen sublimen Anwerbungsversuche der – wie soeben erläutert- nicht immer ganz so ungefährlichen Sekten? Es gibt die Bundesstelle für Sektenfragen in Wien, die für Anliegen rund um das Thema offen steht und auch Aussteigern Hilfe anbietet. Zudem leisten sie Präventionsarbeit und bieten Weiterbildungsmöglichkeiten in verschiedenen Bereichen an. Falls man also von skurrilen Menschen in auffallend tiefgründige Gespräche verwickelt wird, oder die Gratis- Meditation einen nicht „nur“ entspannt hat, ist die Wollzeile 12 in 1010 Wien eine sehr gute Anlaufstelle.

Geschrieben von Anna Röbe.

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Quellenverzeichnis – Die getarnten Seelenfänger