WM 2022, Katar // floomedia

Wird die WM 2022 eine KATAR-strophe?

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Frane Kulas Redakteur

Die kommende Fußballweltmeisterschaft der männlichen Nationalmannschaften soll 2022 in Katar stattfinden. Gastgeber des Turniers nehmen dieses als Anlass, um international an Ansehen zu gewinnen – Katar steckt daher unheimlich viel Geld in das Projekt, um neue Stadien, Hotels, Verkehrsverbindungen und sogar eine neue Stadt zu bauen.

Um die zwei Millionen Gastarbeiter*innen sind daher nach Katar gekommen, um auf den Baustellen zu arbeiten. Jedoch zeigt sich, dass die Arbeiter*innen schlecht behandelt werden – Menschenrechtsorganisationen sprechen gar von moderner Sklaverei. Auch sind durch die lebensgefährlichen Bedingungen auf den Baustellen schon tausende Arbeiter*innen ums Leben gekommen.

Worum geht’s?

Alle vier Jahre findet eine Fußballweltmeisterschaft statt, jedes Turnier wird in einem anderen Land ausgetragen. 2010 entschied sich der internationale Fußballverband dafür, die WM 2022 im Wüstenstaat Katar auszutragen.

WM 2022, Katar // floomedia
Katar WM 2022 // Kartendaten: Google, Grafik: Simon

Das Turnier austragen zu dürfen ist mit sehr viel Prestige verbunden, schließlich präsentiert sich der Gastgeber der ganzen Welt, wenn möglich also von der besten Seite. Es hoffen daher viele Staaten, künftige WM-Turniere austragen zu dürfen, um so das internationale Ansehen zu steigern. Katar – eines der reichsten Länder der Welt – durfte sich daher glücklich schätzen, als 2010 bekannt wurde, dass man das Sportevent organisieren durfte.

Doch schon kurz nach der Bekanntgabe des Austragungsortes gab es Korruptionsvorwürfe gegen den Internationalen Fußballverband (FIFA). Katar habe sich die WM 2022 „erkauft“, heißt es. Bestechungsgelder sollen dafür gesorgt haben, dass genug Mitglieder im FIFA-Komitee für Katar stimmen. Der damalige Präsident der FIFA ist mittlerweile der Korruption und Bestechung schuldig gesprochen worden (allerdings handelt es sich um andere Fällen als um Katar).

Für die Fußballwelt war die Wahl von Katar als zukünftiger WM-Gastgeber irritierend, denn das 2,8 Millionen Einwohner*innen große Land (fast 88% davon sind Migrant*innen) ist ein Wüstenstaat, der zum Zeitpunkt der WM-Vergabe noch nicht mal ansatzweise eine Infrastruktur für ein derartig großes Sportevent aufweisen konnte, ganz zu schweigen von einer Fußballkultur.

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Auch ist ein Wüstenstaat generell schlecht dazu geeignet, ein Großturnier auszutragen – es ist nämlich ganz einfach zu heiß, um in den sonst üblichen WM-Monaten (Juni, Juli) das Turnier auszutragen. Bei 40°C im Schatten spielt es sich eben doch nicht so leicht am Fußballfeld. Daher wird die WM erstmals in der Vorweihnachtszeit im Winter stattfinden (immerhin hat es dann nur noch um die 30°C). Die Stadien sollen vollklimatisiert sein, um so die Fußballmatches möglich zu machen – gut für die Umwelt ist das daher schon mal nicht.

Aber gut, all diese Faktoren sollen nicht Grund sein, warum Katar die Austragung der WM verwehrt bleiben soll. Die folgenden Punkte zeigen jedoch, wieso die Turnieraustragung im Golfstaat fragwürdig ist.

Warum ist das problematisch?        

Für die WM werden Stadien benötigt, diese müssen in Katar allerdings erst gebaut werden. Dazu kamen ca. 2,3 Millionen Gastarbeiter*innen nach Katar, vorrangig aus Nepal, Bangladesch, Pakistan und Indien. Große NGOs wie Amnesty International sprechen in diesem Zusammenhang mit deren Arbeitsbedingungen von moderner Sklaverei.

Am 17. Mai 2022 wurde von diversen NGOs, darunter Amnesty International, ein offener Brief an die FIFA veröffentlicht: hier zum Nachlesen.

WM 2022, Katar // floomedia

Über zwei Millionen Arbeitssuchende kamen im Rahmen der Vorbereitungen zur WM 2022 nach Katar. Die Männer und Frauen kommen aus armen Ländern, in denen es keine oder nur sehr schlecht bezahlte Arbeit gibt. In den meisten Fällen kommen sie, um Geld an ihre Familien zu schicken, welche finanziell abhängig von ihnen sind. Man müsste also meinen, die Arbeitsmigration lohne sich für alle Seiten. Die Realität sieht leider anders aus.

Inwiefern Sklaverei?

Vielen Gastarbeiter*innen wurde bei der Ankunft in Katar der Pass abgenommen, sodass sie im Land gefangen sind. Außerdem bekommen sie oftmals nicht ihren Lohn ausgezahlt unter dem Vorwand, sie müssten erst ihre Schulden für Anreise und Unterkunft abbezahlen. Menschenrechtsorganisationen sprechen daher von „moderner Sklaverei“.

Die Arbeitgeber (die Bauunternehmen) nehmen den Männern und Frauen nach Ankunft ihren Reisepass ab, dadurch können diese das Land nicht verlassen und müssen auf die Gutmütigkeit ihrer Arbeitgeber hoffen, den Pass wieder zurückzubekommen. Weiters wird vielen gesagt, sie müssen erstmal ihre „Schulden“ abbauen, welche sich aus angeblichen Anreise- und Unterkunftskosten zusammensetzen. Dadurch erhalten die Gastarbeiter*innen oftmals nicht ihr versprochenes Gehalt, sie arbeiten daher unbezahlt und ohne Möglichkeit zu gehen.

Das hat mit dem sogenannten Kafala-System zu tun, welches in den arabischen Golfstaaten Tradition hat und in der Gesellschaft verankert ist.

Im Kafala-System geht es darum, dass Arbeiter*innen erst dann in das Land einreisen dürfen, wenn sie einen Bürgen finden, also jemanden, der für sie aufkommt, falls Gesetzesbrüche passieren oder Schulden abbezahlt werden müssen. Im Falle der vielen Migrant*innen, die für den Bau der Stadien einreisten, waren diese Bürgen die großen Bauunternehmen. Die Gastarbeiter*innen sind daher abhängig von ihren Arbeitgebern, das macht auch eine Flucht oder einen Jobwechsel sehr schwierig, außerdem trauen sich viele auch nicht, ihre Rechte einzufordern oder mit der Presse über ihre Missstände zu reden.

Arbeiter*innen sterben?

Durch lebensgefährliche Bedingungen auf den Baustellen sowie missliche Behausungen der Arbeiter*innen gab es vermehrt Todesfälle. „The Guardian“ deckte auf, dass im Zusammenhang mit den Stadionbaustellen mindestens 6.500 Arbeiter*innen umgekommen sind, Amnesty International geht sogar von bis zu 15.000 Toten aus – die Statistiken sind allerdings ungenau, da Katar diese nicht offenlegt.

WM 2022, Katar // floomedia

Die Unterkünfte sind überfüllt und sind nicht ansatzweise sicher oder hygienisch. Auf den Baustellen scheint es kaum Sicherheitsvorkehrungen für die Arbeiter*innen zu geben und auch die Hitze sowie fehlende Pausen führen zu lebensbedrohlichen Arbeitsbedingungen. Auch kommt es durch die missliche Lage der Arbeiter*innen und durch deren Aussichtslosigkeit zu vermehrten Suiziden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es schon tausende Todesfälle gab.

Die Autopsien, die die Ursachen für das Ableben der Bauarbeiter*innen liefern sollen, sind nicht gerichtlich – die Tode werden daher meist als „natürliche Ursache“ von den Bauunternehmen abgetan.

Die Gastarbeiter*innen sind aber alle medizinisch auf Arbeitsfähigkeit untersucht, es kommen daher nur gesunde Männer und Frauen erwerbsfähigen Alters nach Katar, ein Indiz dafür, dass die Tode nicht durch „natürliche Ursachen“ bedingt sind.

Gleichstellung in Katar?

In Katar sind Frauen ihren männlichen Familienangehörigen untergeordnet, und queere Personen werden strafrechtlich verfolgt. Weiters können Angestellte wie Eigentum behandelt werden, ohne gesetzliche Konsequenzen zu fürchten. So kommt es vor allem im häuslichen Umfeld zu Gewalt und zu vielen sexuellen Übergriffen bei weiblichen Angestellten. 

Was wird gegen die Vorwürfe unternommen?

Nach internationaler Kritik versprach die Regierung Katars 2014 eine Besserung der Umstände – diese hat bis jetzt jedoch nicht stattgefunden. Von offizieller Seite der FIFA und Katar werden die Anschuldigungen abgestritten und auf die angebliche Einhaltung der Arbeiter*innenrechte verwiesen.

Der internationale Druck und die Empörung fokussierten sich gleich in den Jahren nach der WM-Vergabe enorm auf Katar. 2014 wurden daher Gesetzte erlassen, die beschwichtigen sollten: Mehr Arbeitnehmerrechte, ein Verbot der Passabnahme sowie eine verpflichtende monatliche Lohnauszahlung sind seitdem Gesetz in Katar. 2017 folgte sogar noch ein Gesetz, das einen Mindestlohn festsetzte. Recherchen und Berichte widerlegen jedoch die Umsetzung dieser neuen Gesetze.

Da es um viel Prestige geht wird sich Katar den Medien nur von seiner besten Seite zeigen. Angemeldete Journalist*innen bekommen nur Vorzeigecamps präsentiert und dürfen nur ausgewählte Arbeiter*innen zu den gesetzten Bedingungen interviewen. Damit wird die Realität in der offiziellen Berichterstattung verzerrt.

Werbespot auf dem offiziellen Youtube-Kanal der Katar WM

Die FIFA gestand schließlich doch ein, dass es zu „Verletzungen der Arbeitsstandards“ bei der Baufirma „TAWASOL“ gekommen sein soll. Als Konsequenz soll dieses Unternehmen zukünftig keine Aufträge der FIFA mehr erhalten.

Der Präsident der FIFA, Gianni Infantino, sieht die Vorwürfe nicht problematisch. Gerade die Diskussion um Arbeitnehmerrechte in Katar sei schließlich durch die baldige WM-Austragung überhaupt erst möglich gemacht worden .

Mehr zum Thema Marketing und Berichterstattung rund um die WM im Video von Simplicissimus

WM 2022 boykottieren?

Pro:

Die WM 2022 wird auf Kosten von Menschenleben und Sklaverei aufgebaut. Bis jetzt hat kein Land die Teilnahme ausgeschlossen. Gerade europäische Staaten könnten ein starkes Zeichen für Menschenrechte setzen und eine WM-Teilnahme ausschließen.

Jede Nation, jeder einzelne Spieler, der teilnimmt und jede*r Zuseher*in macht sich mitschuldig beim Unterstützen der Ausbeutung der Gastarbeiter*innen. Würden mehr Spieler und Nationen eine Turnierteilnahme ausschließen wäre dies ein deutliches Signal gegen Menschenrechtsverletzter.

Die WM 2022 könnte daher als Chance genutzt werden, um gegen das Problem der Menschrechtsverletzung vorzugehen, schließlich schaut die ganze Welt zu. Die Reichweite ist also mehr als gegeben.

Kontra:

Ein Boykott würde nichts dazu beitragen, die Situation für Gastarbeiter*innen zu verbessern, so die Meinung anderer. Durch die WM wird viel Aufmerksamkeit auf die Missstände gelenkt und ein Dialog zur Verbesserung wird eingeleitet. Außerdem könnte die WM als Brücke dienen, die arabische Golfstaaten und den „Westen“ näher zusammen bringt.