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Warum gibt es dieses komische System mit den Wahlmännern in den USA eigentlich?

Warum gibt es dieses komische System mit den Wahlmännern eigentlich? Das Wahlmänner System USA erklärt

Im Gegensatz zu unseren Präsidentschaftswahlen in Österreich gibt es in den USA kein Direktvotum — wer die meisten Stimmen hat, gewinnt nicht automatisch. Stattdessen sammeln die Kandidat*inn*en der beiden großen und aller kleineren Parteien in jedem der 50 Staaten Wahlmänner*frauen, und versuchen, eine Mehrheit derer zu erringen. Das birgt einige Tücken.

Am fünften November dieses Jahres, einem Dienstag, geht Amerika wieder wählen — Bürgermeister, Gouverneurinnen, Abgeordnete, Bezirksdelegierte, Stadtschulrätinnen, Senatoren, … ach ja: und den/die nächsten Präsident:in, der/die entweder Donald Trump oder Kamala Harris heißen wird.

Zum Beispiel werden alle 435 Abgeordnete des Repräsentantenhauses und ein Drittel des Senats neu gewählt.

Wobei: Ganz so stimmt das natürlich nicht. Am fünften November darf Amerika die 538 Wahlmänner und Wahlfrauen wählen, die sich dann Anfang Dezember in jedem Staat treffen, um den nächsten Präsidenten zu entscheiden. Aber wieso eigentlich? Ist das nicht viel aufwendiger und gefährlicher, als einfach alle Stimmen zu zählen?

Warum gibt es dieses komische System mit den Wahlmännern eigentlich?

Wie so Vieles wurzeln auch die Gründe für die Beibehaltung des Wahlmännerkollegiums (“Electoral College”) mehr in der Tradition als in der Praxis. Wir haben für Dich genauer hingeschaut:

Eine (ein bisschen) komplizierte Sache

In der US-Verfassung ist vorgesehen, dass jeder der 50 Staaten genauso viele Wahlmänner*frauen bekommt, wie er Sitze im Kongress hat — das heißt: Zwei Senator*inn*en plus die Anzahl an Abgeordneten im Repräsentantenhaus. Diese wiederum wird alle zehn Jahre nach einer Volkszählung neu angepasst. (Außerdem hat die Hauptstadt des Landes, Washington, D.C., seit 1961 ein Recht auf drei Wahlmänner*frauen.)

Die Einwohnerschaft Puerto Ricos (über drei Millionen Menschen) und der anderen vier Territorien der Vereinigten Staaten — Guam, Samoa, Marinara, und die Jungferninseln — dürfen somit ihre*n Präsident*en*in nicht mit bestimmen.

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Ein Beispiel für eine Wahlkarte. In manchen Staaten wird via Wahlmaschine abgestimmt // USA-Wahlmännersystem – floo.Magazin

Jeder Staat legt selbst fest, nach welcher Vorgehensart die eingelangten Stimmen für die Präsidentschaftskandidat*inn*en in Stimmen für die Wahlmänner*frauen umgerechnet werden. In 48 Staaten ist das ziemlich einfach: Der*diejenige Kandidat*in mit den meisten Stimmen gewinnt automatisch 100 Prozent der offenen Stellen für Wahlmänner*frauen für die von ihm*ihr vorgeschlagene Liste. Dieser Ansatz nennt sich “Winner-takes-it-all”. Nur in Maine und Nebraska spielt die Region, in der eine Stimme abgegeben worden ist, eine Rolle.

Eine interessante Frage ist jene der sogenannten “faithless electors”, also jene von Wahlmännern*frauen, die sich im Dezember entscheiden, für eine*n andere*n Kandidat*en*in zu stimmen, als sie im November vorgegeben hatten. Zur Zeit ist dies noch in 18 Staaten erlaubt.

Falls es zu einem Gleichstand innerhalb des Kollegiums kommt, wird der*die nächste Präsident*in im Repräsentantenhaus bestimmt.

Was hat das Wahlmännerkollegium mit der Sklaverei zu tun?

Ganz zu Beginn sah es für ein paar Jahre so aus, als würde in den USA der*die Präsident*in über den Kongress bestimmt werden. Sehr bald aber kamen unter den Gründervätern Bedenken auf, dass dies die Gewaltenteilung, das Grundprinzip der amerikanischen Verfassung, beeinträchtigen würde. Man suchte also nach einer alternativen Lösung.

Eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Vereinigten Staaten ist jenes über die Verschleppung und Versklavung von Afrikaner*innen, deren Kinder und Kindeskinder noch bis in die 1860er unbezahlt und unfrei auf Baumwollfarmen in den Südstaaten schufteten. Die Machthaber im Süden waren zumeist selbst Sklavenbesitzer, und wollten diesen Umstand zu ihrem Vorteil ausnutzen: Obwohl die Versklavten nicht wählen durften, sollten sie durch ihre Besitzer repräsentiert werden.

Hiram Rhodes Revels wurde 1870, schon sieben Jahre nach Abschaffung der Sklaverei, zum ersten schwarzen Abgeordneten gewählt. Er musste allerdings immer wieder gegen rassistische Komplotte gegen ihn bestehen.

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Hiram Rhodes Revels, der 1870 in Mississippi die Wahl zum ersten afro-amerikanischen Abgeordneten gewann // USA-Wahlmännersystem – floo.Magazin

So einigte man sich auf das Wahlmännerkollegium — und ein Drei-Fünftel-System: Bis zur Abschaffung der Sklaverei nach dem Bürgerkrieg rechnete man in den Volkszählungen, die die Verteilung der Sitze im Kongress und damit jene der Wahlmänner bestimmten, jeden Sklaven als drei Fünftel eines Freien, was freie Südstaatler bevorzugte.

Und jetzt?

Die Sklaverei ist abgeschafft, Menschen jeder Hautfarbe dürfen wählen — aber das Wahlmännerkollegium gibt es immer noch. Seine Vertreter sind der Meinung, dass es garantiere, es werde nicht nur in den großen Städten und den Ballungsräumen an den Küsten Wahlkampf geführt, sondern auch in ländlichen Gebieten in entscheidenden Staaten.

Allerdings steigt in den letzten Jahren die Kritik. Gerade prominente Stimmen aus den Reihen der Demokraten, wie die Senatorin Elizabeth Warren oder der ehemalige Bürgermeister Pete Buttigieg, haben sich im letzten Vorwahlkampf entschieden für seine Abschaffung eingesetzt. Als Gründe nennen sie nicht nur die Möglichkeit, dass der*diejenige Kandidat*in mit weniger Stimmen die Präsidentschaft erringt, wie es zuletzt 2000 und 2016 passiert ist:

2000 gewann der Republikaner George W. Bush erst gegen seinen demokratischen Gegner Al Gore, nachdem der Supreme Court befohlen hatte, eine Neuauszählung in Florida anzuhalten, die sich aus der unterschiedlichen Rechnung nicht ganz durchgestanzter Wahlkarten ergeben hatte. 2016 errang Hillary Clinton zirka drei Millionen mehr Stimmen als Donald Trump.

Weiters steigere es die Politikverdrossenheit — schließlich ändert eine einzige Stimme in einem sehr demokratischen Staat wie Kalifornien, oder einem sehr republikanischen Staat wie Alabama, nichts, selbst wenn es sich national um eine äußerst knappe Wahl handelt. Der Wahlkampf konzentriere sich vor allem in der Endphase auf die “Swing States”, also Staaten, die manchmal demokratisch und manchmal republikanisch wählen, und von denen viele im Mittleren Westen liegen. Damit würden Anliegen in anderen Regionen des Landes nicht gehört.

Quellenverzeichnis – Das Wahlmänner System in den USA erklärt