Es ist weithin bekannt, dass wir heute nicht mehr zu denselben Konditionen arbeiten wie noch vor 50 Jahren. Einige haben den Nerv, diese Entwicklung einer angeblichen Faulheit der neuen Generationen zuzuschreiben. Doch auch für viele andere geht es in dieser Debatte hauptsächlich um Lebensstile, Trends, Veränderungen am Arbeitsmarkt und fehlende Anreize zur Vollzeitarbeit.
Damit blickt man jedoch nun gerade, da wir eine Teilzeitdebatte führen, darüber hinweg, dass die Verrechtlichung der Teilzeitarbeit nicht nur der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt diente. Denn neben dieser wichtigen Rolle war sie ebenfalls ein strategisch eingesetztes, politisches Instrument zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.
Teilzeitarbeit als Instrument der Wirtschaftspolitik
Seit einigen Jahrzehnten und bis zuletzt erschien die Förderung der Teilzeitarbeit für sinnvoll, denn die Politik kehrte seit Mitte der 1980er und spätestens seit den 1990er Jahren ihren bisherigen wirtschaftspolitischen Zielen den Rücken.
Statt Vollbeschäftigung und Redistribution von Einkommens- und Vermögenswerten ging es in dieser Zeit der wohlfahrtsstaatlichen Wirtschaftskrisen und des EU-Beitritt vor allem um die Sanierung des Staatshaushaltes, die Liberalisierung der Märkte und die Wahrung von Preisstabilität. Die Zurückdrängung des Normalarbeitsverhältnisses kam dabei keineswegs von den Arbeitenden aus.
Dieser Prozess ist bis heute geprägt von schmerzhaften Verwerfungen. Hunderttausende verloren ihren Beruf und für hunderttausende weitere veränderten sich mit dem Verlust der garantierten beruflichen Sicherheit die Regeln des Spiels. Symbolisiert durch das Hinausdrängen der Sozialpartnerschaft aus den wichtigsten sozial- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen, saßen sie nun nicht mehr am Verhandlungstisch; zur selben Zeit wie eine geeinten Klasse der Besitzenden exorbitante Gewinne verzeichnet, wird die nunmehr zersplitterten Besitzlosen weniger und weniger daran beteiligt.
Selbst ist der Mensch
Die schon damals eingesetzte Verhaltensökonomie sollte letzteren gegenüber durch die
Ausgestaltung der Rahmenbedingungen ihres Lebens eine “elegante Lösung” sein. Sie gibt vor, besser zu regieren, da sie Menschen zu nichts zwingt, sondern ihnen nur alternative Verhaltensformen ’nahelegt‘. Tatsächlich ist sie eine Regierung der Menschen an den Grenzen des Ertragbaren. Denn diese müssen in ihren “rationalen” Entscheidungen nicht nur ihre finanzielle Lage einbeziehen, sondern das gesamte Leben.
Die 1980er und 90er Jahre sahen die politische Entscheidung, den, auf den Arbeitsmarkt
drängenden Menschen zwar Arbeit, aber nicht die Möglichkeit des Normalarbeitsverhältnisses geben. Stattdessen bekamen sie Teilzeitarbeit und das Versprechen von mehr Autonomie in der
Lebensführung. In der Folge ist es kaum verwunderlich, dass einige – und zwar nicht nur Reiche – irgendwann einen Vorzug darin erkannten, weniger der eigenen Zeit aufzugeben. Dafür nahmen sie in kauf, weniger zu verdienen. Eine so oder so hohe Menge an Geld mehr in der Woche mehr im Monat kann nicht aufwiegen, was die Privatperson an Leben gewinnt, wenn sie Beziehungen aufbaut und Freundschaften pflegt, nicht zuletzt diejenige zu sich selbst.
Politik der Profite
Rational erscheint das nur, wenn uns die Zügel der Autonomie aus der Hand gerissen werden, weil durch die Verarmung oder den Burnout das ganze Leben überm Abgrund schwebt.
Es ist völlig verständlich, dass sich die Verhältnisse und Umstände ändern, nach denen unsere
Politik handelt, und gewissermaßen nachvollziehbar, dass im einen Moment die Liberalisierung der Märkte Priorität hatte, und es jetzt gerade die Vollbeschäftigung ist. Doch man darf nicht vergessen, dass wir damals wie heute das Erzielen von Profiten sichern, während sich immer mehr Menschen als Arbeitslose oder Invalide und bald auch Teilzeitarbeitende an den Rand der Gesellschaft gedrängt wiederfinden. Dieser Umstand: eine Politik, die sich mit den Erfolgen einer Gesellschaft auszeichnet, aber von ihrer Verantwortung für das Elend derselben nichts wissen möchte, ist inakzeptabel.
Verantwortung und Autonomie
Natürlich sagt die Regierung auch jetzt, dass sie zu unserem Besten handelt und alles andere
bedeutete wohl für eine jede das Selbstmordkommando. Doch man schaue nur auf den Anstieg der Zahlen in Angelegenheiten Depression und Selbstmord(-versuche) und erinnere sich kurz daran, dass solche Entwicklungen den westeuropäischen Staaten keineswegs fremd sind. Dann muss man erkennen, dass “Arbeitskräftemangel” nicht nur eine Frage wirtschaftlicher Notwendigkeiten und rationalen, gut begründeten Verhaltens ist, sondern auch eine des individuellen Willens. Ignorieren unsere Regierungen diesen, so überlassen sie durch ihre Handlungen die Verantwortung, mit der von Ihnen begünstigten Situation umzugehen, und damit das Selbstmordkommando, uns selbst.