Es gehört wohl zur Strategie einer Qualitätszeitung wie dem “Kurier”, keine allzu unangenehmen Fragen zu stellen. So blieb im Interview mit Arbeits- und Wirtschaftsminister Kocher vom 14. Februar, welches in Österreich den Anfang der aktuellen Teilzeitdebatte markiert, dessen Argumentation zu keinem Zeitpunkt kritisch hinterfragt und wohl auch deswegen schlüssig. Doch was unserem Wirtschafts- und Arbeitsminister so locker von der Zunge rollt, verdient durchaus eingehende Überprüfung.
Menschen sind nicht immer rational
Die dort präsentierte Sicht unserer Regierung – auch großer Teile der Oppositionellen – auf ihre Regierten lässt sich ohne weiteres den Regierungsprogrammen, Arbeitsberichten der Ministerien und sogar Studien der regierungsnahen Forschungsinstitute entnehmen. Sie ist, vereinfacht gesagt, psychologisch im Sinne der Verhaltensökonomie.
Schematisch gesehen geht diese akademische Disziplin davon aus, dass der Mensch zwar
möglichst rational, also entsprechend seines Denkens, handeln möchte, es sich bei den Einstellungen von Menschen und ihrer Umsetzung in Form von Handlungen aber um zwei unterschiedliche Dinge handelt. Recht leicht lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass der Mensch manchmal eben weiß, was er möchte und dies auch tut, manchmal weiß er es nicht und tut trotzdem etwas und so weiter und so fort.
Grenzen der Verhaltensökonomie
Für sich genommen harmlos, entsteht in der konkreten Anwendung ein unübersehbares Problem. Dies zeigt sich gut in einer von Kocher, der selber Verhaltensökonom ist, eigens publizierten Studie. Kocher zufolge kann man Menschen in vier Kategorien verstehen: 1. die “Menschen ohne Gap”, Menschen, die ein “gutes” Wertebewusstsein haben und sich dementsprechend verhalten, 2. die “unbewussten Gutmenschen”, Menschen, die eigentlich kein “gutes” Wertebewusstsein haben, aber aus irgendwelchen Gründen sich trotzdem gut verhalten, 3. die “willigen Nichtstuer”, Menschen, die wissen, was “gut” ist, aber nicht das Rückgrat haben, es auch durchzuziehen und zuletzt 4. “Die Ignoranten”, unmoralische Menschen, die sich weder für “wichtige” Werte interessieren, noch ein “gutes” Verhalten an den Tag legen. Selbstverständlich hält man sich weniger gerne mit der Frage auf, wie Urteile über “gutes” oder “schlechtes” Verhalten zustandekommen, und das wäre auch ungemein schwieriger.
Die Regierung weiß mehr
Damit geht das Regierungshandeln von seinen Bürger:innen als Menschen aus, die selbst nicht wissen, was für sie gut ist und darüber hinaus, sie nur als rational erkennt, wenn sie parallel zur Regierung handeln. Das große Problem dabei: der Einzelne, der sich nicht durch eine starke Institution vertreten sieht, steht plötzlich ohne jegliche aus der eigenen Erfahrung gründende Rationalität dar. Ihm wird in einem solchen Menschenbild per definitionem die Möglichkeit eines ernstzunehmenden Widerspruches gegen das, was mit ihm gemacht wird, abgesprochen.