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Schach-Skandal: Mit Sextoys zum Sieg geschummelt?

floo.Kurzfassung:

  • Anfang September ist der amtierende Schach-Weltmeister Magnus Carlsen nach einer überraschenden Niederlage gegen Hans Niemann aus dem Sinquefield-Cup ausgetreten.
  • Carlsens kryptische Betrugsvorwürfe lieferten rasch Anlass zu Spekulationen, etwa dass Niemann mithilfe eines vibrierenden Anal-Sextoys geschummelt habe; Beweise gibt es allerdings keine.
  • Der rasante Aufstieg von computerbasierten und quasi-unbezwingbaren Schach-Engines ermöglicht nicht nur neuartige Betrugsmöglichkeiten, sondern transformiert aktuell den gesamten Sport. 

Worum geht’s im Schach-Skandal? 

Eine Partie im prestigeträchtigen Sinquefield Cup schlug im September 2022 Wellen durch die Schachwelt und darüber hinaus. Der amtierende Schach-Weltmeister Magnus Carlsen trat nach einer überraschenden Niederlage gegen den Außenseiter Hans Niemann aus dem Turnier zurück. 

Eine solche Aktion ist im Schach, besonders auf Elite-Niveau, äußerst selten. Sich auch nach einer überraschenden oder haushohen Niederlage anerkennend zu zeigen ist in einer Sportart, die Fairplay und nicht zuletzt den Ruf der Spieler großschreibt, von essenzieller Bedeutung.

Der Austritt eines Weltmeisters lieferte deshalb sofort Anlass zu Spekulationen über die Hintergründe dieser Entscheidung. In seiner bisher einzigen Stellungnahme zum Austritt postete Carlsen lediglich einen Link zum legendären „I prefer not to speak. If I speak I am in big trouble“-Sager des Fußballtrainers Jose Mourinho. Der Inhalt und Kontext des Zitates implizieren, dass Carlsen seinem Gegner Betrug vorwirft, jedoch nicht näher darauf eingehen kann oder will. 

Wie bitte schummelt man im Schach? 

Carlsen und Niemann saßen sich zur Partie in Person gegenüber, nachdem beide unter anderem per Metalldetektor kontrolliert worden sind. Und überhaupt, wie kann man in einem Spiel wie Schach schummeln?

Schachprofi Niemann gestand, dass er in der Vergangenheit bei (mindestens) zwei online-Schachpartien geschummelt hat, indem er während des Spiels laufend mit den idealen Zügen gefüttert wurde, die von einer hoch entwickelten, Schach-Engine berechnet wurden.

Chess.com Screenshot der Onlineseite - Schach-Skandal Artikel auf floomedia
Chess.com Screenshot // Wikimedia Commons – ©Tentothehundred

Eine der größten Schachwebsiten der Welt, chess.com, suspendierte Niemann kurz nach Carlsens Rücktritt und verwies darauf, dass Niemann in der Vergangenheit auf der Seite geschummelt habe. Diese Vorgeschichte, plus das Gewicht einer drastischen Reaktion des Weltmeisters resultieren darin, dass Niemann trotz einer kryptischen Anschuldigung und mangelnden Beweisen rasch unter Bedrängnis geriet.

In Absenz eines weiteren Kommentars von Carlsens Seite, sind zum aktuellen Standpunkt spekulative Theorien darüber, wie Niemann betrogen haben kann, im Umlauf. Die brisanteste, jedoch unbelegte Theorie besagt, dass Niemann über ein drahtloses Anal-Sextoy per Vibrationen von außen Infos zugespielt bekommen habe, nach einem ähnlichen Prinzip (aber einer wahrscheinlich anderen Umsetzung) wie seine vergangenen Regelbrüche. Eine andere unbelegte Erklärung suggeriert, dass Niemann im Voraus vertrauliche Informationen über Carlsens Vorbereitung durch interne Leaks erhalten habe. 

Die Veranstalter des Turniers gaben einige Tage nach der Partie ein Statement ab, dass es keine Beweise dafür gebe, dass in irgendeiner der Partien des Turniers geschummelt wurde. Niemann selbst beteuerte wiederholt seine Unschuld, behauptete niemals in einer over-the-board (physischen) Schachpartie betrogen zu haben und vermutete des weiteren, dass Carlsens Scham, gegen einen „Idioten wie ihn“ verloren zu haben, zu seinem Rücktritt führte.

Außerdem erklärte er sich bereit in zukünftigen Partien auch splitternackt anzutreten. Die öffentliche Meinung zu dem Skandal ist wie erwartet gespalten. Einige, wie der Schnellschach-Weltranglistenbeste und Streamer Hikaru Nakamura, glauben, dass Carlsen nicht ohne gute Gründe eine derart drastische Reaktion zeigen würde. Andere, so auch Levon Aronian, ein weiterer Teilnehmer des Sinqufield Cup, stehen dem Vorwurf aufgrund einer Absenz an konkreten Beweisen kritisch gegenüber und vermuten Voreingenommenheit durch den raschen Aufstieg Niemanns in der Schachwelt. 

Aber was hat das jetzt für Implikationen?

Ob und wie die Situation aufgeklärt wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt ungewiss. Was jetzt schon feststeht ist, dass es sich hierbei um einen der größten Schachskandale der letzten Jahre handelt. Besondere Aufmerksamkeit hat die Debatte rund um Niemanns angebliche und de-facto Betrugsversuche über die Verwendung von Software und Künstlicher Intelligenz im Schach ausgelöst. In den vergangenen Jahren kam es zu einer rasanten Entwicklung verschiedener Programme, sogenannten Engines, die allesamt auf einem höheren Niveau Schach spielen als jeder Mensch.

Zum Vergleich: Magnus Carlsen, der beste Spieler der Welt, und Inhaber des historisch höchsten Elo-Ratings von 2882 (einer Metrik zur Bemessung der Spielstärke), hinkt Meilen hinter dem Elo-Rating von 3546 der Stockfish Open Source Chess Engine hinterher.

Diese Entwicklung hat den Schachsport bereits jetzt nachhaltig transformiert, indem das Training für menschliche Spieler maßgeblich verändert wurde. Partien werden mithilfe von Schach-Engines analysiert, Strategien an die optimierten Kalkulationen der Computer angepasst. Des weiteren eröffnen diese technologischen Fortschritte neue Möglichkeiten des Schummelns, wie Hans Niemann bereits demonstriert hat. 

Schach-Skandal - Computer Algorithmus
Schach-Skandal // Computer Algorithmen verändern die Gegebenheiten

Auch in anderen Bereichen sieht sich der Schachsport technologischen Veränderungen ausgesetzt. So haben sich in den vergangenen Jahren eine große Anzahl an Schachgroßmeister*innen, Plattformen wie Twitch und Youtube zugewandt, was zu einer enormen Popularisierung des Sports in den Sozialen Medien zur Folge hatte.

Der oben genannte Großmeister Hikaru Nakamura hat aktuell 1.5 Millionen Twitch-Follower und ist insbesondere durch seine Social-Media-Präsenz zu einer der bekanntesten öffentlichen Figuren der Schachwelt avanciert.

Eine interessante, wenn auch spekulative Frage ist, ob sich diese Diversifizierung des Schachsports, mit einem größeren Fokus auf Unterhaltung und Zuschauerinteraktion als eine Art Gegenmaßnahme gegen den Vormarsch der spielerischen Überlegenheit von Engines richtet.

Bis zur Übernahme der Künstlichen Intelligenz bleibt jedenfalls menschliches Schach der Mittelpunkt des Sports und so auch die Prävention von illegalen Hilfsmitteln. Die aktuell wichtigste Frage der Schachwelt bleibt also: Hatte Hans Niemann bei seinem historischen Sieg über den Weltmeister die Hilfe eines vibrierenden Anal-Sextoys oder nicht?