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Leben wir in einer Corona-Diktatur?

Seit mehr als zwei Jahren wird Österreich mit zwei großen Herausforderungen konfrontiert. Zum einen mit dem Coronavirus, zum anderen mit den Corona-Demonstrationen. ​Schon von Beginn an assoziiert mit rechten Randgruppen wie “Die Identitären” aber auch etablierten Parteien wie der „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ), protestieren in regelmäßigen Abständen bis zu 40.000 Menschen gegen die Maßnahmen der Regierung, den fünften Lockdown und die Impfpflicht.

DemonstrantInnen kommen aus verschiedensten Lagern und sammeln sich um das Thema des Freiheitsverlustes. In den Maßnahmen sehen sie schwerwiegende Einschnitte in ihre Freiheit, bezeichnen die sie ausübende Gewalt demnach als Corona-Diktatur und beschweren sich über den “totalitären Staat”. Was steckt hinter den Protesten und leben wir bald schon in einer Corona-Diktatur?

Wogegen demonstrieren die Corona-Protestierenden?

Hinter den Protesten steckt etwas sehr Reales – Beunruhigung, Frustration, Besorgnis und Wut verschaffen sich gemeinsam Luft. Denn egal wie man es auch betrachtet, in den letzten anderthalb Jahren ist politisch viel falsch gelaufen.

In Zeiten einer echten Krise scheint der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz viel mehr am eigenen Marketing interessiert und durch seinen turbulenten politischen Niedergang beschäftigt, als dass er richtige Entscheidungen in wichtigen Momenten träfe.

Corona-Diktatur // Sebastian Kurz Zeichnung
Corona-Diktatur // Sebastian Kurz Zeichnung

Das Ergebnis sind wiederholt schlecht genutzte sommerliche Fenster zur Vorbereitung der nächsten COVID-Wellen, Pannen über Pannen und zweifelhaften Lockdowns wie Öffnungen.

Hierzulande wurde die Corona-Krise öfter überwunden als Verantwortung für ihr wiederholtes Entgleisen übernommen. Konkreteres über die Motivationen, Einstellungen und politischer Ausrichtung der DemonstrantInnen als die eigenen Vermutungen lassen sich dem im Juli 2021 veröffentlichten Corona-Protest-Report der Uni Wien entnehmen.

Demnach sind die Protestierenden eine in ihrer Kritik geeinte und dennoch politisch diverse Gruppierung. Gemeinsam ist ihnen der Zweifel an der Gefährlichkeit des Coronavirus, viele denken es ähnele in seinen Auswirkungen der saisonalen Grippe. Gekoppelt daran ist ein allgemeines Missvertrauen den Machtausübungen der ‘politischen Eliten’ gegenüber. Im Kontext der Corona-Maßnahmen fühlen sich viele

Demonstrierenden gleich doppelt bedrängt: einerseits in ihrer alltäglichen Freiheit und andererseits in ihrer freien Meinungsausübung. Die Demonstration bietet hier eine Gemeinschaft und ein bindendes Element, welches teils große politische Differenzen durch die Berufung auf ein so universelles Konzept wie das der “Freiheit” leicht überbrücken kann. Oft wird also für “Freiheit” demonstriert und gegen eine Einschränkung dieser: Ansätze die gemeinhin positiv konnotiert werden.

Problematischer wird es mit der Ausdrucksweise und in der Folge auch mit dem Verständnis welches die Demonstrierenden von Freiheit und Un-Freiheit entwickeln. Denn mit Verweis auf ihre Un-Freiheit betiteln sie die aktuelle Lage als ein Zeichen eines kommenden oder gar längst realen totalitären Staates. Dabei werden oft eindeutige Vergleiche mit der nationalsozialistischen Diktatur, etwa durch das Tragen eines “Judenstern”, gezogen.

Was ist der Judenstern?

Der Judenstern ist eine Kennzeichnung derjenigen Menschen, die im national- sozialistischen Deutschland ab 1935 als ‚Juden‘ bezeichnet wurden. Ab 1941 wird er in Gebieten unter nationalsozialistischer Kontrolle eingeführt. Vor allem soll er die Deportations- und Vernichtungsbestrebungen der Nationalsozialisten vereinfachen.

Einige Demonstrierende sehen sich in diesem Fall als die Opfer eines totalitären Systems und stellen ihre Einschränkungen auf eine Ebene mit der Herrschaft der Nationalsozialisten. Aber wie war dieser totalitäre Staat wirklich, wie war die nationalsozialistische Diktatur?

Was ist der totalitäre Staat?

Die Bezeichnung eines Staates als totalitär ist auch außerhalb der Kreise von Corona-Protestierenden weithin geläufig und trotzdem bleibt sie in ihrer tatsächlichen Bedeutung oft unscharf kontextualisiert.

Zuallererst verweist sie auf die Schrecken derjeniger Staaten, deren Macht über eigene wie fremde Bevölkerungen unermesslich ausgeweitet, also ‚total‘, ist. Mit Blick in die Vergangenheit werden werden dabei zumeist die nationalsozialistische und die stalinistische Diktatur genannt, während für die Gegenwart vor allem das Beispiel Nordkorea herangezogen wird.

Für die Kritik der Corona-DemonstrantInnen spielt vor allem der Nationalsozialismus eine zentrale Rolle. Aber was ist es, das diese Diktatur in ihrem Kern ausmachte und wie kam es zu ihrer Entstehung? Ein kennzeichnendes Element der nationalsozialistischen Diktatur ist der Rassismus.

Was ist Rassismus?

Rassismus beschreibt eine Ansammlung von Wissen ausgehend von einer machtbesitzenden Gruppe über eine andere, machtlosere Gruppe von Menschen. Dieser anderen Gruppe werden im Rassismus meist negative gebündelte Charakteristika wie z.B. „fremde Sprache = fremde Kultur = archaisch-patriarchale Kultur“ zugeschrieben und auf Basis dieser Zuschreibungen diese Gruppe als eine natürliche Einheit festgestellt. Der Prozess wird durch Ausgrenzungen unterstützt, welche die dominierende Gruppe gewaltvoll durchsetzt.

Rassismus, bedeutend die Festschreibung von Ungleichheiten zwischen Menschen als “natürlich”, existierte im Nationalsozialismus, er existiert aber auch noch in unserer Gesellschaft. Rassismus – und das ist zentral – unterscheidet sich jedoch von Fall zu Fall in seiner Form und seiner Praxis.

So bedeutete Rassismus in der nationalsozialistischen Diktatur die Stärkung der eigenen “Rasse” entgegen dem fremden, gefährlichen Element, welches diese Stärke ständig unterläuft. Ein Fortschritt der Gesellschaft kann in diesem Modell nur durch die Verringerung des Fremden geschehen, durch den Mord an ihnen. Die nationalsozialistische Form des Rassismus bringt eine ungeheure Ausweitung der Macht zur Gewalt und der Macht über den Tod mit sich, erst halten sie viele und durch den Akt der Denunziation schließlich beinahe alle in ihren Händen.

Die Diskriminierungen und Genozide Nazi-Deutschlands und Österreichs geschehen im Zusammenspiel der gewaltbereiten Bevölkerung und der gewaltausübenden Diktatur. Eine solche Diktatur und ihre Bevölkerung erscheinen als Monstrosität und haben mit dem liberalen Nationalstaat, den das Deutsche Reich der 1920er Jahre zuvor defacto noch verkörpert, nur wenig zu tun.

Umso wichtiger ist demnach das zweite Kernelement der nationalsozialistischen Diktatur: Die Partei. Die national-sozialistische Partei ist keine Partei in unserem heutigen Verständnis. In der aufgewühlten politischen Situation des frühen 20. Jahrhundert sind die Parteien deutlich umfassender in die Leben der BürgerInnen integriert als das heute der Fall ist.

Leben wir in einer Corona-Diktatur?// Nazi Bild
Corona-Diktatur // Modell NS-Regime

Sie umfassen mehr Mitglieder, die in das Innere der Partei stärker integriert sind. Weiterhin sind Parteien wie die Nationalsozialistische Partei offen an einem Umsturz des bestehenden politischen System interessiert. Sie organisieren zur Durchsetzung ihrer Interessen bewaffnete Schlägertrupps oder paramilitärische Organisationen, im Falle der NSDAP die Sturmabteilung, kurz „SA“.

Dieses System erfährt mit der Wahl der NSDAP als tonangebende politische Kraft in Deutschland am 28. Januar 1933 eine schlagartige Ausweitung. Von nun an fügt sich nicht die Nationalsozialistische Partei dem System der Weimarer Republik, die Republik fügt sich dem System der Partei.

Parlamentarische Beschlüsse werden ab 1933 unter Präsenz bewaffneter SA Truppen abgehalten, bis das Parlament schließlich vollständig aufgelöst wird. Aber auch Organisationen wie Presse, Gewerkschaften, Vereine und andere Parteien sowie das Zusammenkommen von Menschen zu Versammlungen oder auch Demonstrationen existieren nicht mehr in der Freiheit des Staates. Mehr und mehr stehen alle Bereiche der Gesellschaft unter Überwachung und Kontrolle der Partei.

Folglich ist es auch nicht die Ausweitung des Staates, sondern seine Zurückdrängung, die den nationalsozialistischen totalitären Staat ermöglicht. Die nationalsozialistische Partei übernimmt nicht (nur) die Regierungsmacht, vielmehr handelt es sich um eine totale Machtübernahme. Im Nationalsozialismus wird die durch die Gesellschaft hergestellte staatliche Macht schrittweise durch die Instanz der Partei übernommen und eine Abwandlung dieser Macht unter völlig anderem Vorzeichen bewirkt.

Politische Organisationen, wirtschaftliche Institutionen, staatliche wie private Organe werden “gleichgeschaltet” und somit allesamt durch parteiliche ersetzt. Es handelt sich also im national-sozialistischen Modell des totalitären Staat aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert nicht um die allumfassende Ausweitung des liberalen Staates, sondern vielmehr um die Perversion liberal-staatlicher Macht durch die alles umfassende Partei.

Was ist der liberale Staat?

Der liberale Staat bezeichnet die seit dem 18. Jahrhundert zunehmend dominierende Staatsform. Zentrales Element des liberalen Staates ist die Produktion von vor allem der ökonomischen Freiheit. Hierzu gilt im liberalen Staat immer weniger das ältere, z.B. königliche Prinzip des Herrschens und dafür ein Prinzip der Anleitung von Gruppen und Individuen in dem, was der liberale Staat als Interesse feststellt.

Hiermit enden die Auswirkungen des totalitären Staates jedoch lange nicht, denn er bleibt in kollektiver Erinnerung wie Geschichtsschreibung präsent. Mit seinem Charakter und seinem Entstehen beschäftigten sich Zeitzeugen, Wissenschaftler, Politiker und ganze Staaten wurden vor dem Hintergrund seiner Erfahrung (neu) errichtet.

Auch die Kritik eines österreichischen Staat der angeblich auf dem Weg in die totalitäre Herrschaft sei, ist nicht neu. Direkte Vergleiche mit dem National-sozialismus hingegen sind in Österreich ein gesellschaftliches Tabu.

Was macht die Corona-Kritik aus?

Der Unterschied zwischen den Corona-Demonstrierenden und der sonstigen Kritik an einer Ausweitung des Staates ist eindeutig. Er begründet sich in den direkten Vergleichen zur nationalsozialistischen Diktatur, einem gesellschaftlicher Tabubruch.

Die Sorge um eine Ausweitung des Staates wird von AkteurInnen der gesellschaftlichen Mitte wie auch vielen PolitikerInnen oder JournalistInnen vertreten und in breiten Massen der Gesellschaft gestützt. Aufsehen erregen die Corona-Demonstrierenden also nicht durch ihre Grundprinzipien, wie z.B. “Freiheit”, sondern vor allem durch die Art ihres provokativen, aggressiven und hetzerischen Ausdrucks.

Dieser entspricht in Personal wie Rhetorik dem österreichischen Rechtspopulismus, einer Richtung die direkte politische Vertretung in Form der FPÖ bietet. Dieser Partei ist durchaus klar, dass das Österreich von heute mit den totalitären Zuständen nur wenig zu tun hat und noch viel klarer, dass sie an der Steuerung aktueller Zustände maßgeblich beteiligt ist. Im Politikstil des Rechtspopulismus sind diese Fakten jedoch völlig egal, stattdessen spielt sich die FPÖ als “Anwalt der kleinen Leute” auf.

Was ist Rechtspopulismus?

Der Rechtspopulismus ist eine seit den 1970er Jahren zunehmend aufkommende politische Ausrichtung. Sie ist vor allem attraktiv, da sie ideologische Elemente des rechten Spektrum wie Rassismus mit liberalen und neoliberalen Bekenntnissen zu Freiheit und Nation verbindet. Dabei spielt populistische Rhetorik eine besondere Rolle. In ihr wird eine direkte Verbindung zwischen PolitikerInnen und der Bevölkerung hergestellt: rechtspopulistische PolitikerInnen stellen sich vor allem als uneigennützige Vetreter des Volkes vor der Elite dar.

In dieser Form gehen gesellschaftlich tolerierte Kritiken und rechtspopulistische Rhetorik in Form der Corona-Protesteeine unerfreuliche Allianz ein. Insgesamt hinterlässt das ein gemischtes Bild, welches symbolisch für die österreichische Politik der letzten Jahrzehnte stehen könnte.

Eine radikale Wende hat der Rechtspopulismus seit seinem Aufkommen auch in drei Regierungsperioden nie gebracht. Sein Vermächtnis liegt vor allem in der Annäherung tolerierter Formen gesellschaftlicher Kritik mit zuvor untolerierbaren Tabubrüchen. Als sein Erbe ist der hier diskutierte Selbstvergleich österreichischer Staatsbürger des Jahres 2022 mit der Situation von JüdInnen im Nationalsozialismus leider keine Ausnahme.

Denn die unangenehme Wahrheit unserer Gegenwart ist, dass sich das Vermächtnis des Rechtspopulismus in vielen Bereiche der österreichischen Gesellschaft wiederfinden lässt und mit den Corona-Protestierenden wohl nicht zum letzten Mal sein Gesicht gezeigt haben wird.

Zum Nachlesen

  • Demirovic, Alex/Bojadzijev, Manuela (Hg.). 2002. Konjunkturen des Rassismus. Münster : Westfälisches Dampfboot.
  • Foucault, Michel. 2001. In Verteidigung der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Foucault, Michel. 2006. Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouverne- mentalität II. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Scheibelhofer, Paul. 2018. Der fremd gemachte Mann: Zur Konstruktion von Männlichkeiten im Migrationskontext. Springer VS: Wiesbaden.