Ein Polizist kniet auf dem Hals eines Mannes, der schreiend am Boden liegt. Nach sechs Minuten ist dieser tot. Ein Video der brutalen Szene geht um die Welt. Klingt bekannt, oder? Ein Jahr zuvor wurde George Floyd in den USA auf ähnliche Weise ermordet. Floyds Tod führte zu weltweiten Protesten und einem erneuten Fokus auf rassistische Strukturen.
Am 19. Juni 2021 passierte das nochmals, diesmal in Tschechien. Diesmal war es Stanislav Tomáš, ein Rom, der von Polizisten getötet wurde. Die Polizei behauptete, sie habe aufgrund von Tomáš „aggressivem Verhalten“ eingegriffen, und der Innenminister erklärte, eine Autopsie habe eine mögliche Überdosis Drogen als Todesursache festgestellt. Im Dezember ergab eine Untersuchung der Ombudsperson, dass die Polizisten erhebliche Fehler begingen und nicht sicherstellten, dass ihre Zwangsmaßnahmen keinen unverhältnismäßigen Schaden verursachten. (Amnesty International, 2021)
Doch selbst mit diesem Paradebeispiel an Polizeigewalt und Intransparenz der Behörden blieben die weltweiten Proteste und großen Aufarbeitungskampagnen aus.
Was sind Roma & Romnja?
Eine Gemeinschaft, die so viel zur europäischen Geschichte und Kultur beigetragen hat, ist für viele vermeintlich „unsichtbar“. Es gibt Hintergründe, Strukturen und Begriffe, die man kennen sollte, um Themen in Bezug auf Rom_nja besser verstehen zu können. Dieser Artikel soll genau diesen Einstieg bieten, für alle, die wenig bis gar nichts über Rom_nja wissen.
Um aber über Rom_nja reden zu können, muss man mit Rom_nja reden. Da ich keine bin, habe ich Pia Thomasberger zur Beratung herangezogen. Sie ist im Vorstand der HÖR (Hochschülerschaft Österreichischer Rom_nja), Aktivistin und eine ehemalige Schulfreundin von mir.
Das ganze Interview mit ihr und weitere Informationen findet ihr hier:
Doch bevor man in die komplexen vielschichtige und heterogene (in sich sehr unterschiedlichen) Geschichte der Rom_nja hineintaucht, muss man erst die richtigen Bezeichnungen und Vokabeln kennen.
Sprache bildet Realität: Wie sag‘ ich was?
Romni | weiblich, Einzahl |
Rom | männlich, Einzahl |
Romnja | weiblich, Mehrzahl |
Roma | männlich, Mehrzahl |
Selbstbezeichnung und Oberbegriff von meisten Angehörigen der Ethnie verwendet „Roma“ fungiert im politischen und öffentlichen Diskurs als Oberbegriff für diverse Gruppen (Steindl-Kopf, 2022)
“Z***” (hier geht es zum unzensierten Wort im Duden) – wurde als Fremdzuschreibung und Schimpfwort gegenüber verschiedenen Gruppen, wie Roma und Sinti, verwendet. Es ist mit jahrhundertelangen Erfahrungen der Unterdrückung verbunden, insbesondere während der NS-Zeit. Einige wenige haben das Wort „reclaimed“ und verwenden es als Selbstbezeichnung. Von Außenstehende (Gadjo bzw Gadji) verwendet wird es kontextunabhängig als schwere Beleidigung angesehen.
Gadjo | männlich |
Gadji | weiblich |
Gadji bezeichnet eine Person, die nicht zur Gruppe der Rom_nja gehört. Es ist ein Wort aus der Sprache Romanes und wird oft verwendet, um Außenstehende oder Nicht-Roma zu benennen.
Romanes ist die Sprache der Roma. Sie gehört zur indoarischen Sprachfamilie und weist verschiedene Dialekte auf, die sich je nach Region unterscheiden.
Das Wort „Gypsy“ ist eine Fremdbezeichnung, die hauptsächlich im englischsprachigen Raum Verwendung findet. Obwohl es nicht gleich stark negativ konnotiert ist wie das Wort Z**, wird es oft im Zusammenhang mit rassistischen Bildern und exotisierenden Attributen wahrgenommen.
„Gadjo-Rassismus“ bezieht sich spezifischer auf Rassismus von Nicht-Rom_nja gegenüber Rom_nja. Auch oft Antiziganism genannt.
Herkunft, Verfolgung, Migration: Eine lange Geschichte kurz zusammengefasst
Die Herkunft und Geschichten der Rom_nija waren lange Zeit unbekannt. Durch die Erforschung ihrer Sprache konnte ihre Herkunft aus dem Nordwesten des indischen Subkontinents nachgewiesen werden.
Die Geschichten basieren meist auf mündlichen Überlieferungen, da Romanes erst Anfang des 20 Jh zur Schriftsprache wurde. Lange wurde fälschlicherweise angenommen, dass sie aus Ägypten stammten. Abgeleitet von dem englischen Wort Egypt ergab sich “G*psy”.
Die Vorfahren der Rom_nja verließen den Nordwesten Indiens in mehreren Migrationsphasen zwischen dem 3. und 13. Jahrhundert aus verschiedenen Gründen wie ökonomischen Problemen, Klimakatastrophen und politischen Konflikten. Sie lebten oft über Generationen hinweg im Iran, Armenien und Byzantinischen Reich. (Roma Volkshochschule Burgenland, 2020) (UNESCO, 2023)
Ab dem 15. Jahrhundert begann in Europa eine großflächige Verfolgung, wobei Rom_nja in manchen Teilen Europas als Sklaven gehalten wurden und zur Arbeit gezwungen sowie als “Ware” verkauft werden konnten. Diese Periode hielt bis ins 19. Jh an (400 Jahre unbeleuchtete Sklavereisgeschichte Europas).
Im 18. Jahrhundert versuchte man, dann Rom_nja zu assimilieren, indem ihre Sprache verboten und ihre Kinder zwangsweise in christliche Familien gegeben wurden. Der Gebrauch von Romanes wurde zu dieser Zeit mit einer Strafe von bis zu vierundzwanzig Stockhieben oder mit dem Abschneiden der Zunge geahndet. (Gesellschaft für bedrohte Völker, 2017)
Heutzutage ist Romanes mit Landessprachen vermischt, und viele Rom_nja sprechen es nicht mehr, aufgrund Nachfolgen eben dieser Verbote oder aus Scharm oder Angst vor Ausgrenzung.
Das Bild, dass alle Rom_nja nomadisch leben und von Ort zu Ort ziehen, ist sehr veraltet. Was bis zum 13. Jahrhundert zutraf, wurde seither immer seltener und stellt heute eine absolute Seltenheit dar. Dennoch wird dieses Stereotyp oft herangezogen, um auf die vermeintlich „unkontrollierbare, wilde und illegale Art“ hinzuweisen.
Rassistische Bilder, egal ob sie jemals gestimmt haben oder komplett erfunden sind, dienen oft als Instrument, um Menschengruppen schlechter darzustellen oder Gewalt zu rechtfertigen.
Im Nationalsozialismus wurden Romnja neben anderen Gruppen, die man als Z** kategorisierte, als „asozial“ eingestuft und deportiert. Bis 1945 wurden durch diese Assoziation schätzungsweise eine halbe Million Menschen umgebracht. Diese Zeit bezeichnen Rom_nja bis heute mit dem Romanes-Wort Porrajmos, zu Deutsch: „das Verschlingen“. Das „Z“ wurde den Menschen unter die Haut tätowiert, weshalb es umso wichtiger ist zu verstehen, warum gerade das Wort Z** so schmerzhaft ist. (Roma Volkshochschule Burgenland, 2020)
Rom_nja bilden heute mit geschätzten 12 Millionen Menschen die größte Minderheit Europas, etwa die Hälfte davon sind Unionsbürger_innen (EU-Kommission, 2024). In Österreich leben zwischen 30.000 und 80.000 Rom_nja, viele davon sind österreichische Staatsbürger_innen, teils mit Migrationshintergrund. (Steindl-Kopf, 2022)
Seit 1945 kamen Rom_nja aus verschiedenen Gründen nach Österreich: 1956 flohen viele vor den Nachwehen des Ungarischen Volksaufstandes, 1968 aus der Tschechoslowakei, und ab den 1960er-Jahren kamen zahlreiche Rom_nja als “Gastarbeiter_innen” aus Jugoslawien. (Bundeszentrale für politische Bildung, 2014)
Was verbindet die Community?
Was man nicht vergessen darf, ist, dass Roma_nja-sein keine Staatsangehörigkeit ist. Roma_nja können Ungar_innen, Rumän_innen oder Österreicher_innen sein. Sie können an Gott, Allah oder an keine höhere Macht glauben. Aber was verbindet sie dann? Wenn eine Gruppe so verschieden ist, wieso ist sie dann noch eine Gruppe?
Hier möchte ich auf Stimmen aus der Community verweisen, die zum 8. März, dem Internationalen Tag der Rom_nja, acht Fragen beantworten, die einen Einblick in ihre Kultur und ihr Leben geben.
Rom*nja Stimmen: https://www.instagram.com/p/C5h_0RhsZLn/
Für ein Miteinander und gegen das Nebeneinander
Ein Volk, eine Ethnie oder eine Gruppe von Menschen verbindet meistens eine gemeinsame Sprache, verschiedene Rituale, Sitten, Werte und eine gemeinsame Geschichte. Das gilt auch für die Rom_nja. Die gemeinsame Geschichte der Verfolgung vor und während der NS-Zeit sowie der allgegenwärtige Rassismus gegen sie schweißt die Gemeinschaft zusammen.
Neben den dunklen und traumatisierenden Aspekten ihrer Geschichte gibt es jedoch auch viele schöne und bunte Seiten. Es ist wichtig zu verstehen, dass sich Menschengruppen, deren Geschichte von Verfolgung und Ausgrenzung geprägt wurde, nicht nur dadurch definieren. Gruppen oder Menschen mit teils sehr schweren Vergangenheiten können eine schöne Gegenwart und Zukunft gestalten.
Wenn Nicht-Romnja über Romnja-Themen schreiben, konzentrieren sie sich oft auf das, was auffällig und anders ist. Das ist grundsätzlich kein böser Ansatz, dadurch aber reproduzieren man immer wieder ähnliche Bilder, denen man mehr Bedeutung beimisst, als sie tatsächlich haben.
Es gibt nicht die eine Romnja-Geschichte, die erzählt werden kann, ebenso wenig wie es die eine Menschheitsgeschichte gibt. Die Frage, wer die Geschichte schreibt, ist genauso wichtig wie der Inhalt der Geschichte. Im 21. Jahrhundert angekommen, gibt es noch viel zu tun, um Gleichstellung zu erreichen. Diese Arbeit bleibt oft an den betroffenen Gruppen hängen, obwohl sie nicht diejenigen sind, die diese Probleme verursacht haben, mit denen sie heute noch zu kämpfen haben.
In einem Land mit vielen verschiedenen Völkern und Gruppen ist Kontakt ein gutes Mittel gegen Vorurteile und Rassismus. Wo Berührungsängste bestehen, fehlen Berührungspunkte, es entsteht ein Nebeneinander statt eines Miteinanders. Um ein Miteinander zu fördern und Stereotypen über Rom_nja abzubauen, empfiehlt es sich, aktiv an Veranstaltungen, Partys, Workshops oder Treffen teilzunehmen, bei denen man Rom_nja kennenlernen kann. So wird ein Begriff oder ein Bild zu einem Menschen mit Geschichte. Der Verein HÖR (Hochschülerschaft für Österreichische Rom_nja) bietet die Möglichkeit, Romanes zu lernen, zu Romni-Musik zu feiern oder Kochkurse zu belegen für Rom_nja aber auch für Gadjo_i.
Autorin: Antonia Patzak
- https://www.bpb.de/themen/europa/sinti-und-roma-in-europa/179536/ein-unbekanntes-volk-daten-fakten-und-zahlen
- https://www.br.de/themen/bayern/inhalt/geschichte/sinti-roma-geschichte100.html
- https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/voelkermord/voelkermord-an-sinti-und-roma.html
- https://www.romarchive.eu/de/music/there-such-thing-romani-music
- https://www.burgenland-roma.at/index.php/geschichte/herkunft-der-roma
- https://www.romarchive.eu/de/music/there-such-thing-romani-music
- http://www.roma-service.at/
- https://www.hoer-info.at/presse/