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Alles was du über den Lobautunnel wissen musst

Die Geschichte eines Megaprojekts durch das Naturschutzgebiet

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Dana Doppelhofer Redakteurin

Status quo Lobautunnel

Klimaschutzministerin Gewessler gab am 1. Dezember 2021 bekannt, dass der Bau des Lobautunnels gestoppt wird.

Ein Autobahntunnel durch ein Naturschutzgebiet?

Ohne viel nachzudenken könnte man meinen, dass so ein Bauvorhaben doch sehr absurd klingt. Spätestens jetzt, 2021 – wo sich die Auswirkungen des Klimawandels immer drastischer bemerkbar machen und die Forderungen zum Schutz der Umwelt und nach Verminderung des Verkehrs immer lauter werden – sollte die Frage zum Bau eines solchen Tunnels doch mit einem klaren NEIN ausfallen. Aber wie immer ist es leider nicht ganz so einfach. Die Thematik um den sogenannten Lobautunnel ist nicht nur technisch, sondern auch (umwelt-)politisch viel komplizierter, als sie auf den ersten Blick erscheint.

Was ist der Lobautunnel?

Der Lobautunnel soll zukünftig unter dem namensgebenden Naturschutzgebiet Lobau im 22. Wiener Gemeindebezirk verlaufen. Er ist Teil der geplanten Wiener Außenring Schnellstraße S1, die den 22. Bezirk und das nordöstliche Umland Wiens besser an die Stadt anbinden und den Verkehr auf anderen Straßen entlasten soll. Mit der Evaluierung des Projekts entfachte Umweltministerin Leonore Gewessler eine breite politische Debatte rund um Klima, Umweltschutz und die zukünftige Entwicklung Wiens.

Das Bauvorhaben gleicht einer unendlichen Geschichte. Schon 2002 wurde der Lobautunnel als Teil der S1 in Wien erstmals erwähnt und bis heute gilt das Bauprojekt als sehr umstritten. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung ergab, dass der Tunnel gebaut werden könne – nun müsse das Projekt aber noch einen zusätzlichen Klimacheck durchlaufen.

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) argumentiert ihre Entscheidung damit, dass die Prüfung den Klimawandel nicht miteinbezogen hätte. Es soll evaluiert werden, ob der Tunnel in Anbetracht der Klimakrise noch verantwortbar ist.

Neben dem Lobautunnel sind auch noch weitere Straßenbauprojekte von diesem Klimacheck betroffen, wie auch die S18 in Vorarlberg. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) stellt sich auf die Seite der Bundesländer, deren Landespolitiker*innen über Gewesslers Entscheidung empört sind. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) übten heftige Kritik an der Ministerin: Die Stadterweiterung in Donaustadt hänge von der Autobahn ab, Wohnungen für bis zu 60.000 Menschen könnten nicht gebaut werden – unzählige zukünftige Arbeitsplätze würden damit vor dem Aus stehen.

Das große Problem ist die Verkehrsanbindung der Donaustadt – die Schnellstraße und der Lobautunnel sollen dieses lösen, damit die Auflagen für den weiteren Wohnbau erfüllt werden.

Lobautunnel

Map Wien und Autobahn
Kartendaten: GoogleMaps

Bis zu 60 Meter tief soll der Tunnel unter dem Naturschutzgebiet der Lobau verlaufen. Dieser würde über die neue 6. Donauquerung mit dem Rest der S1 verbunden werden. Laut ASFINAG besteht keine Gefahr für das Naturschutzgebiet und Umweltschutz und Sicherheit stünden bei dem Projekt im Vordergrund. Die Gesamtkosten der S1 betragen 1,9 Milliarden Euro.

Was ist bisher passiert?

  • 2002 – Bürgermeister Michael Häupl spricht von einer Umfahrung Wiens, schließt aber eine Autobahn durch die Lobau aus.
  • 2004 – Planung des Wiener Außenrings durch die ASFINAG.
  • 2006 – Die Lobau wird zum ersten Mal von Umweltaktivist*innen besetzt.
  • 2015 – Die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) wird positiv abgeschlossen – das bedeutet, der Tunnel darf gebaut werden.
  • 2018 – Die UVP wird vom Handelsgericht in zweiter Instanz bestätigt. (Quelle: ASFINAG)
  • Juli 2021 – Umweltministerin Leonore Gewessler ordnet einen Klimacheck über den Lobautunnel an, um diesen zu evaluieren.
  • September 2021 – Während das Ergebnis dieser Überprüfung noch aussteht, besetzen Aktivist*innen in Wien Baustellen der ASFINAG aus Protest.

Was ist die Lobau?

Die Lobau ist Teil des Nationalparks Donau-Auen und liegt auf Wiener Gemeindegrund im 22. Bezirk Donaustadt. Das heutige Bild der Lobau entstand durch die Donauregulierung 1875 als sie oberflächlich vom Fluss abgetrennt wurde. Der Wasserstand der Lobau reguliert sich seitdem hauptsächlich durch das Grundwasser.

Warum ist der Erhalt der Lobau wichtig?

  • Teil der Grundwasserversorgung Wiens
  • Lebensraum für Pflanzen und Tiere
  • Erholungsgebiet nahe der Stadt
  • Grünflächen dienen zur Abkühlung
  • Unversiegelter Boden dient als CO2 Speicher

Welche Gefahren birgt der Lobautunnel?

Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen fürchten einen Verlust der Lobau durch den Tunnelbau. Für den Bau müsse nämlich der Grundwasserspiegel abgesenkt werden – die einzig verbliebene Wasserquelle für das Naturschutzgebiet. Auch die Einhaltung der Klimaziele sehen sie auf dem Spiel aufgrund des erwarteten höheren Verkehrsaufkommens durch Autobahn und Tunnel.

Altlasten in der Lobau

Im Erdreich der Lobau befinden sich laut dem Biologen Bernd Lötsch zudem auch noch Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg. Bei Bohrungen könnten diese freigesetzt werden und das Naturschutzgebiet sowie Grundwasser gefährden.

Altlasten sind umwelt- und gesundheitsschädigende Ablagerungen und Verunreinigungen.

Was sagen die Expert*innen?

Während die Politik über den Bau der Autobahn und des Lobautunnels streitet und es eine breite Front politischer Akteur*innen für den Tunnel gibt, schlagen Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen Alarm: Das Großprojekt sei unverantwortlich und würde gegen alle anvisierten Klimaziele verstoßen. Das Forum Wissenschaft und Umwelt spricht von langfristigen Auswirkungen, sollten die Pläne in dieser Form umgesetzt werden. Es gäbe zudem auch andere Möglichkeiten, um die Donaustadt besser anzubinden.

Die TU Wien hat dazu einen über 60-seitigen Bericht erstellt, in dem verschiedenste Planszenarien analysiert und verglichen wurden.

Die drei relevantesten Szenarien kurz zusammengefasst:

Planszenario B+:

  • Keine Schnellstraße und Lobautunnel
  • Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel in Wien und bessere öffentliche Anbindung der Donaustadt
  • Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung auf ganz Wien
  • Weniger Verkehrsaufkommen durch geringere Notwendigkeit eines Autos
  • Entspricht am ehesten den Klimazielen der Stadt Wien

Planszenario C:

  • Bau der Schnellstraße und des Lobautunnels
  • Anbindung der Donaustadt durch die zusätzliche Autobahn-Donauquerung
  • Mehr Verkehr und Emissionen statt Entlastung
  • Laut Analyse der TU Wien das klimaschädlichste Szenario

Planszenario D:

  • Bau der Schnellstraße und des Lobautunnels
  • Ausgleichende Verkehrsmaßnahmen aus dem Planszenario B+
  • Trotz zusätzlicher Maßnahmen mehr Verkehrsbelastung
  • Die Mehrbelastung durch Autobahn und Tunnel kann durch Maßnahmen nicht ganz ausgeglichen werden

Wo liegen die größten Probleme in der Verkehrs- und Stadtplanung?

Das Problem des Autoaufkommens liegt nicht nur am allgemeinen Bevölkerungswachstum in Wien. Einer der größten Faktoren und Probleme ist die Attraktivierung des Autofahrens. Laut der TU Wien führen zusätzliche Straßen nicht zur Entlastung des Verkehrs, sondern fördern sogar ein höheres Verkehrsaufkommen. Schnellere Straßenverbindungen führen zusätzlich zu weiteren Strecken, die mit dem Auto zurückgelegt werden müssen und damit auch zu höheren Emissionen.

Bei den Fachgesprächen des Forums Wissenschaft und Umwelt richtete Prof. Reinhold Christian seinen Appell an die Politik: Der Präsident des FWU fordert, dass Politik zukunftsfähig werden müsse und damit aufhören solle, die Chancen zukünftiger Generationen zu verschlechtern.

In ihren Vorträgen zur Stadt- und Verkehrsplanung übten auch der Professor für Verkehrsplanung Hermann Knoflacher und der Architekt Dr. Reinhardt Seiß scharfe Kritik am Bau des Großprojekts S1. Klimafreundliche Stadtplanung orientiere sich an der Verkürzung der Strecken, die eine Person im Alltag zurücklegen muss. Plant man Stadtteile so, dass es möglichst einfach ist, ohne ein eigenes Auto zum Einkaufen oder zur Arbeit zu gelangen, reduziert sich auch der Autobesitz in der Bevölkerung. Knoflacher geht sogar so weit, dass er eine Verbannung der Autos bzw. deren Parkplätze aus der Stadt fordert, um deren Attraktivität zu senken. Damit würde der Verkehr und somit auch die Umweltbelastung verringert werden.

Das Ziel der drastischen Verkehrs- und Emissionsverringerung setzte sich die Rot-Grüne Stadtregierung 2014 mit dem STEP 2025. Genau diese Ziele droht die Stadtautobahn zu gefährden.

Was ist der STEP 2025?

Der STEP 2025 – kurz für Stadtentwicklungsplan 2025 – ist die verhandelte Übereinkunft 2014 wie Wien im Jahr 2025 auszusehen habe. Dabei spielen die Klimaneutralität sowie Gestaltung einer Smart-City Wiens eine tragende Rolle.

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Diese Gefährdung könne man sich laut Klimaforscherin Prof. Helga Kromp-Kolb nicht mehr leisten. Durch neue Autobahn- und Tunnelprojekte würde man durch Lock-in Effekte Probleme für die nächsten Jahrzehnte schaffen und die Klimaziele nicht erreichen. Laut ihr beginnt Klimaschutz im Kopf: Denn nur wenn man Anreize schafft, auf das Auto zu verzichten und dessen Attraktivität reduziert, werden Menschen auch beginnen, die Alternativen zu nutzen.

„Aber auch Elektroautos brauchen Straßen“

Zukünftige Mobilität darf laut Kromp-Kolb auch nicht einfach darin bestehen, fossile Motoren auf Elektromotoren umzustellen. Es müsse im urbanen Raum der Fokus auf zu Fuß gehen, radfahren und die öffentlichen Verkehrsmittel gesetzt werden. Dadurch würde man nur noch sieben von zehn Autos – dann mit Elektromotor im Individualverkehr – und damit auch weniger Straßen brauchen.

Zusätzlich zu den bereits aufgelisteten Forderungen und Kritikpunkten spricht der Ökonom Prof. Michael Getzner auch davon, dass die zunehmende Versiegelung und Verbauung der Böden eine langfristige Ressourcenverschwendung darstellt und wirtschaftliche Einbußen mit sich führen wird.

Was ist der Lock-in Effekt?

Die Verkehrsplanung der Gegenwart bestimmt die Mobilität der Zukunft. Die S1 führe dazu, dass weiterhin mehr Menschen mit dem Auto fahren, anstatt klimafreundliche Alternativen zu nutzen.

Forum Wissenschaft & Umwelt (FWU)

Das FWU wurde 1985 anlässlich der Besetzung der Hainburger Au als gemeinnütziger Verein von Wissenschafter*innen gegründet. Der Fokus des FWU liegt auf fachübergreifender wissenschaftlicher Arbeit zu Themen wie Klima- und Umweltschutz.

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Was ist an der Bodenversiegelung so schlimm?

Bioaktive Böden bieten noch viel mehr als nur unberührte Natur und Grünflächen. Sie tragen maßgeblich zur Regulierung der Ökosysteme und des Klimas bei. Ein weiterer oft außenvorgelassener Faktor ist die wirtschaftliche Relevanz dieser – denn unversiegelter Boden ist eine wertvolle und vor allem endliche Ressource.

Welche Probleme treten dabei auf?

  • Das lokale Klima erwärmt sich, da Wasser schlechter verdunsten kann.
  • Der Verlust von Lebensraum für Tiere und Pflanzen.
  • Es besteht kaum Schutz vor Überschwemmungen, da versiegelte Böden kein bzw. kaum Wasser aufnehmen können.
  • Die Aufnahme- und Speicherfähigkeit von CO2 geht verloren.
  • Die gerade in urbanen Gebieten wichtige Bindung von Staubpartikeln ist nicht mehr möglich.
  • Die Produktion von Biomasse und Nahrungsmitteln wird zunehmend kostbarer – der großflächige Verbau fruchtbarer Böden ist somit auch wirtschaftlich kontraproduktiv.

Wie viel Fläche geht jährlich durch Bodenversiegelung verloren?

Durchschnittlich wurden 2020 in Österreich 42km2 Fläche in Anspruch genommen. 42km2 entsprechen in etwa der Fläche von Eisenstadt. Das liegt weit über dem im Regierungsprogramm 2020-2024 festgelegten Zielwert und auch die Verringerung der Bodenversiegelung stagniert in den letzten Jahren.

Lobau-Tunnel Grafik: Jährlicher Zuwachs der Flächeninanspruchnahme in Österreich. Balkendiagramm.
Quelle: Umweltbundesamt

Kann man den Flächenverbrauch wieder rückgängig machen?

Sind die biologischen Funktionen einmal verloren, ist es sehr schwierig, diese wiederherzustellen. Neben hohen Kosten, die bei der Entsiegelung anfallen, benötigt der Vorgang auch sehr viel Zeit. Die Neubildung von Humus kann dabei mehr als 100 Jahre dauern.

Welche Alternativen zum Lobautunnel gibt es?

In den Ausführungen der Wissenschaftler*innen werden Alternativen zur S1 und dem Tunnel gefordert. Nur diese könnten die Straßen Wiens langfristig entlasten und zur Einhaltung der Klimaziele führen.

Mögliche Alternativen zur Anbindung der Donaustadt:

Gibt es Argumente, die für den Lobautunnel sprechen?

Die Nachteile der Wiener Außenring Schnellstraße S1 und des Lobautunnels scheinen deutlich zu überwiegen. Laut mancher Wissenschaftler*innen sei es sogar verantwortungslos, an einem solchen Vorhaben festzuhalten. Fakt ist, dass es für Wien und speziell für den Bezirk Donaustadt dringend verkehrspolitische Lösungen braucht. Der Lobautunnel könnte das Problem der Anbindung vor allem für das nordöstliche Umland Wiens lösen und Fahrzeiten verringern.

Es ist aber auch Fakt, dass immer weniger Zeit für die Einhaltung der Klimaziele bleibt. Jede Einsparung an Treibhausgasen ist kostbar und jede zusätzliche Belastung sollte vermieden werden.

Besetzung der Baustellen in Wien

Eine Entscheidung über den weiteren Verlauf und ob der Tunnel nun kommt oder nicht, wird es vermutlich erst nach dem Abschluss des Klimachecks geben. Heftiger Protest gegen den Tunnel regt sich aber auch jetzt schon. Klima- und Umweltaktivist*innen besetzen derzeit Baustellen der ASFINAG, um die Vorarbeiten zu blockieren.

Lobautunnel

Foto des Besetzungs-Camps in der Lobau 2021
Foto floo.media ©Lea

An der Aktion sind zahlreiche Klima- und Umweltschutzorganisationen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion, Jugendrat und System Change not Climate Change beteiligt. Sie fordern einen sofortigen Stopp des ganzen Projekts.

Quellen & Links:
orf.at
asfinag.at
wien.gv.at
fwu.at
umweltbundesamt.at
ots.at