Gender Data Gap // floomedia

Ist die Welt für Männer designed?

floo.Kurzfassung

  • Der männliche Köper gilt als Norm in der Medizin
  • Frauen* haben eine 13 Prozent höhere Chance, an einem Verkehrsunfall zu sterben
  • Genderinklusive Forschung wird immer stärker zur Vorschrift

Forschung ist für jedermann da, oder? Die Betonung liegt hierbei auf Mann, denn Frauenkörper* werden in der Wissenschaft oft übersehen. Das kann von Unannehmlichkeiten bis zur Lebensgefahr und schlussendlich dem Tod führen, wie an den heutigen Beispielen nähergebracht wird. Der Begriff dafür nennt sich Gender Data Gap. Was genau das ist und wie er sich wahrnehmbar macht erfahrt ihr in diesem Artikel.

Ist die Medizin für Männer* besser geeignet?

Der Gender-Health-Gap meint, dass Männer in der Medizinforschung als Norm herangezogen werden. Symptome von und Medikationswirkung an Männern* gelten automatisch für alle anderen auch- mit teilweise großen Folgen für Frauen*. Vor allem bei Herzinfarkten zeigen sich geschlechtliche Unterschiede.

So enden diese öfter tödlich für Frauen*, da die Symptome oft anders sind als bei Männern, die einen Herzinfarkt erleiden. Dadurch werden Frauen* öfters als weniger akut und falsch eingestuft. Das sogenannte Yentl Syndrom spricht genau davon, dass Frauen falsch diagnostiziert werden, da man von den männlichen Symptomen ausgeht.

Das liegt vor allem daran, dass in der Medizinforschung meist von männlichen Körpern ausgegangen wird bzw. wurde und darauf aufbauend die Symptomatik oder Medikation aufgebaut wird. Auch bei Tierversuchen wurden in der Vergangenheit oft ausschließlich an männlichen Mäusen getestet.

Anzunehmen ist, dass der männliche Körper mit Durchschnittsgewischt als Normkörper gilt, während man annimmt, dass es für alle anderen auch passen soll. Außerdem wird gegen Versuche mit weiblichen Mäusen insofern argumentiert, dass diese aufgrund ihres Zyklus größere Unterschiede in den Ergebnissen liefern und somit größere Umstände bereiten. Diese Annahme ist jedoch inzwischen bereits widerlegt, so sollen weibliche Mäuse und andere Nagetiere gleichermaßen für Forschungen funktionieren wie männliche. Genderinklusive Forschung wird demnach immer stärker zur Vorschrift.

Gender Data Gap // floomedia
Gender Data Gap // Labormaus

Trotzdem wurde der weibliche Körper lange Zeit außer Acht gelassen, vor allem wegen des Risikos, schwanger zu werden: Zu riskant war die Verletzungsgefahr des Embryos. Auch brauchen Frauen* tendenziell mehr Forschungssubjekte, da die Ergebnisse während des Zyklus variieren können.

Körperlich unterscheiden sich Frauen* und Männer* je nach Person mehr oder weniger stark: Bei Männern* sind während eines Herzinfarkts die Arterien verstopft, bei Frauen* oftmals nicht. Auch haben Männer* eher Brustschmerzen, während Frauen* Übelkeit und Magenschmerzen erleiden. Das weibliche Hormon Östrogen regt das Immunsystem an, während Testosteron eher hemmen soll- mitunter ein Grund, wieso Männer* häufiger an Covid erkranken. Auch werden Frauen* seltener mit Autismus oder Schlaganfällen diagnostiziert. Chemotherapie, Aspirin oder cholesterinsenkende Medikamente sind einige wenige Beispiele, die bereits in der Vergangenheit Unterschiede bei Mann* und Frau* gezeigt haben.

Gender Data Gap // floomedia
Gender Data Gap // Medikamente

Meistens ist es eben so, dass die Dosis für Frauen* zu stark ist. Besonders fatal ist es bei dem Medikament Aspirin, das schon lange als eines der bekanntesten Haushaltsmedikamente gilt. Hier hat es lange eine Datenlücke für die Gendermedizin gegeben und jene Studie, die einen Unterschied in der notwendigen Dosierung für männliche und weibliche Personen feststellte, ist erst vor wenigen Jahren veröffentlicht worden.

Teilweise spielen aber auch Geschlechterrollen mit hinein: So werden Frauen* generell seltener geholfen, unter anderem weil man ihnen die Erlaubnis gibt, Schmerzen zu haben. Dadurch werden ihre Schmerzen weniger ernst genommen, da sie als schwächer gelten. Auf der anderen Seite werden Männer* schneller angehört, weil es etwas heißen muss, sich als starker Mann über Schmerzen zu beklagen. Entgegen dem Stereotyp ist es oftmals aber so, dass gerade Frauen* aufgrund dessen, dass ihre Schmerzen ignoriert werden, besser damit umgehen können.

Anhand dieser Beispiele wird rasch deutlich, dass genderspezifische Forschung lebenswichtig ist. Empfohlen wird besonders Acht darauf zu geben, welche Gruppen an welchen Krankheiten häufig leiden und inklusiver darauf einzugehen, welche Wirkstoffe wirklich helfen.

Was ist der Gender Data Gap?

Der Gender Data Gap bedeutet die Unterrepräsentation der Datenerhebung eines Geschlechts trotz medizinischer, gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Relevanz.

Meistens trifft es auf Frauen* zu, dass sie nicht mitbedacht werden. Das kann teilweise starke Folgen für das Wohlbefinden von Frauen* haben: So beschäftigen wir uns mit drei konkreten Beispielen, in denen die Welt für den Mann designed wurde: Medizin, Crashtests und Temperaturen. Damit sind aber noch lange nicht alle Gebiete abgedeckt, die auch vom Data Gap betroffen sind. Bei weiterem Interesse kann man auch in den feministischen Büchern Unsichtbare Frauen von Caroline Criado Perez oder Das Patriachat der Dinge von Rebekka Endler weitere Beispiele nachlesen.

Gender Data Gap // Unsichtbare Frauen von Caroline Criado Perez ©️btb Verlag
Gender Data Gap // Unsichtbare Frauen von Caroline Criado Perez ©️btb Verlag
Gender Data Gap // Das Patriachat der Dinge von Rebekka Endler ©️DUMONT Buchverlag
Gender Data Gap // Das Patriachat der Dinge von Rebekka Endler ©️DUMONT Buchverlag

Werden Autos nur für Männer* getestet?

Frauen* haben eine 13 Prozent höhere Chance, an einem Verkehrsunfall zu sterben. Das liegt unter anderem an den Dummies, die in der Unfallforschung benutzt werden. Während der „männliche“ Dummy 50% der Männer* repräsentiert, sind es nur 5% der Frauen* für den „weiblichen“ Dummy.

Das sagt jedenfalls die Studie der Washington University in St. Louis von 2021. Grundsätzlich kann man sagen, dass der „Crash-Dummy“ maßgeblich zur Sicherheit im Straßenverkehr beitrug. Früher wurde aber fast ausschließlich mit Modellen gearbeitet, die den Durchschnittsmann darstellten. Heute gibt es inzwischen eine ganze Dummyfamilie, und zwar „Hybrid III“. Papa (50 Prozent männlicher* Durchschnitt), Onkel (5 Prozent männlicher* Durchschnitt), Mama (5 Prozent weiblicher* Durchschnitt) und die drei Kinder.

Gender Data Gap // Auto Crashtests
Gender Data Gap // Auto Crashtests

Doch was bedeutet 5 Prozent aller Frauen* genau? Der Dummy repräsentiert in der Schutzforschung jene Frauen*, die etwa 152 cm groß und 54 kg schwer sind. Zum Vergleich, österreichische Frauen* sind durchschnittlich 167 cm groß und 67 kg schwer. Leider dienen beide „männlichen“ Dummies kaum als Ersatz für die Durchschnittsfrau*, da diese weitaus größer und schwerer sind. Auch sind Frauen* nicht einfach kleinere Männer*, sondern auf vielen Ebenen unterschiedlich gebaut. So ist der Oberkörper durch die Brüste anders, was für einen Sicherheitsgurt berücksichtigt werden muss, aber auch Knochendichte, Taille oder Schulten können Unterschiede bewirken.

So kann man annehmen, dass das Durchschnittsauto nicht zur Durchschnittsfrau* passt. Damit wird die Chance geringer, bei einem Unfall zu überleben. Gründe für die fehlende Innovation sind vor allem Budgetkürzungen, Regulierungen seitens der Regierung sowie Kosten und Zeit, die die Herstellung eines Dummies beanspruchen.

Bereits in der Vergangenheit zeigte sich, dass Innovation zu vermehrter Überlebenschance von Menschen allen Alters, Gewichts und Geschlechts hat. So waren alte Airbag-Modelle nur für den Durchschnittsmann* vorteilhaft, während die Kraft für Kinder und Frauen* zu stark war.

Es gibt aber Grund zur Hoffnung: Zwar gibt es bisher keinen weiblichen Dummy, der 50 Prozent der Frauen* darstellt, jedoch gibt es einige Modelle wie EvaRID, die versuchen, mehr als nur 5 Prozent abzudecken. Auch kreierte unter anderem Toyota eine Software, mit der virtuell Crashtests durchgeführt werden- mit Dummies in verschiedensten Formen und Größen. Fraglich ist jedoch, ob virtuelle Tests physische gänzlich ersetzen können und sollten.

Bis ein 50 Prozent-Dummy für Frauen* hergestellt wird ist daher zu empfehlen, dass sich Frauen* beim Autokauf einmal extra beraten lassen und ein Modell suchen, dessen Sicherheitsgurt, Airbag oder Sitz besonders geeignet ist.

Sind die Temperaturen in öffentlichen Räumen für Männer* vorteilhafter?

Statistisch gesehen mögen es Frauen* wärmer als Männer*. Das zeigen mehrere Studien, unter anderem eine Studie über das Wohlbefinden beim Schlafen. Öffentliche Räume sind tendenziell kälter, was sogar Einfluss auf unterschiedliche Leistungsfähigkeiten der Geschlechter haben kann.

Es herrscht das Stereotyp, dass Frauen* schneller frieren als Männer*. Dabei meint man aber meistens eine Alltagssituation, in der der weiblichen* Person eiskalt war, während die männliche* Person schwitzte. Doch tatsächlich liefert die Wissenschaft Beweise dafür, dass diese Unterschiede im Wohlbefinden je nach Temperatur bestehen, sowie biologische Erklärungen und mögliche Auswirkungen. Zwar funktioniert der Wärmetransport in männlichen* und weiblichen* Körpern relativ gleich, doch unterscheiden sie sich darin, wann sich die Blutgefäße bei kälteren Außentemperaturen verengen, um die Organe zu schützen. Für Frauen* beginnt dieser Prozess schon früher als für Männer. Auch soll die dünnere Hautschicht von weiblichen* Personen mit ein Grund für das leichtere Frieren sein.

Gender Data Gap // Arbeitsplatz
Gender Data Gap // Arbeitsplatz

Gleichzeitig gibt es hormonelle Unterschiede: Das vermehrte Testosteron in Männern* macht diese automatisch muskulöser, wodurch mehr Wärme produziert und der Körper von innen warmgehalten wird. Außerdem kurbeln das Hormon Thyroxin und der Mineralstoff Eisen die körperinternen Wärmeproduktion an. Generell haben Frauen* weniger Thyroxin im Körper und brauchen somit verstärkt externe Wärmezufuhr, während Eisen aufgrund der Zyklusschwankungen einmal mehr einmal weniger im weiblichen* Körper auftritt.

Eine Studie der Shanghai Jiao Tong University aus dem Jahr 2011 stellte außerdem die These auf, dass Frauen* bei wärmeren Temperaturen angenehmer schlafen, während es Männer* etwas kälter mögen. In ihrer Studie ließen sie Menschen beider Geschlechter in unterschiedlichen Raumtemperaturen (17, 20 und 23 Grad Celsius) zu Bett gehen und am nächsten Tag Fragen über ihre Schlaferfahrung beantworten. Während Frauen* am besten bei 23° Grad schliefen, bevorzugten Männer* 20 Grad. 17° Grad schien durchwegs nicht positiv anzukommen.

Gender Data Gap // floomedia
Gender Data Gap // Gesunder Schlaf

Evolutionstechnisch erklären sie sich die Unterschiede damit, dass Frauen* durch die Möglichkeit der Mutterschaft eine wärmere Temperatur bräuchten, um den Uterus warmzuhalten. Auch verlieren Frauen* schneller Hitze als Männer*, da ihre Körper tendenziell schmaler sind.

Eine Studie von Tom Y. Chang und Agne Kajackaite ging sogar so weit auszutesten, ob Raumtemperaturen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit haben. Die Ergebnisse zeigten, dass Frauen* besser bei mathematischen Aufgaben und Wortbildungen abschnitten, wenn die Temperaturen höher lagen. Der gegenteilige Effekt zeigte sich bei Männern*, obwohl der Effekt insgesamt für Frauen* stärker war als für Männer*.

Zwar gibt es diese biologischen Unterschiede, deswegen muss man nicht automatisch frieren, sofern die Temperaturen stimmen. Doch genau das ist oftmals der Fall: Frauen* frieren häufig an öffentlichen Orten wie dem Arbeitsplatz. Viele feministische Annahmen handeln davon, dass Raumtemperaturen meistens an den Mann* angepasst sind. Erklärt wird es damit, dass viele alltägliche Dinge und Strukturen von Männern* hergestellt oder normiert wurden und somit vom männlichen* Wohlbefinden ausgehen. So sollen Raumtemperaturen vor allem für den Mann* angenehm sein, genauer für den 40-jährigen Normalgewichtigen.

Gleichzeitig ist es aber schwierig, die Durchschnittstemperaturen in österreichischen Büros, Schulen etc. herauszufinden. Es kann aber genauso wirtschaftliche Gründe haben, Räume kälter zu beheizen, da Wärme mehr kostet. Auch sind nicht nur Frauen* die einzige Gruppe, die von den derzeitigen Raumtemperaturen weniger profitieren: Alter und Gewicht sind weitere Faktoren, die genauer betrachtet werden müssen.

Außerdem ist die Kleidung ein nicht minderer Faktor, der unser Wohlbefinden mit den Temperaturen beeinflusst. Dabei spielen aber besonders Geschlechterrollen und Erwartungen hinein, wie man sich zu kleiden habe.

Ist die Welt für Männer designed?

Diese drei Beispiele zeigen konkrete Situationen, in denen die Welt eher auf den Mann* zugeschnitten ist. Teilweise sind diese nicht nur unangenehm, sondern auch maßgeblich gesundheitseinschränkend oder lebensgefährlich für Frauen*.

Lange Zeit hatten Männer* auf allen Gebieten das Sagen. Damit schufen sie auch die Normen für verschiedenste Alltagssituationen. Heute haben Frauen* ein größeres Mitspracherecht in den Strukturen der Welt. Das merkt man auch bei all jenen Beispielen, die in diesem Artikel aufgezählt wurden. So gibt es bis heute strukturelle Unterschiede und Probleme, die vor allem Frauen* betreffen, gleichzeitig gibt es aber Grund zur Hoffnung: Es werden bereits erste Schritte dahingehend getan, mit (unter anderem) gendergerechter Medizin und der Erarbeitung von weiblichen Crashtest-Dummies eine inklusivere, diversere und sicherere Zukunft zu gestalten.

Trotzdem ist noch einiges zu erledigen, vor allem da es oft schwierig ist, alle Dinge zu identifizieren, die anders laufen sollten, wenn man in diese Welt hineingeboren wird. Deswegen ist es wichtig, jene Problemfelder anzusprechen und an diesen zu beginnen. Auch ist es schwierig, allen Männern* einen Vorwurf zu machen, denn in einer Runde voller Männer* wird teilweise verständlich eher unwahrscheinlich an die Periode gedacht. Daher ist es besonders wichtig, Frauen* in allen Bereichen und vor allem der Forschung einzubringen, damit diese auch die zukünftige Welt mitgestalten können.

Quellen & weitere Links

Temperaturen Quellen:

Crashtests Quellen:

Medizin Quellen:

https://futter.kleinezeitung.at/gender-health-gap/